Was wissen Unternehmen? Ökonomie, Kommunikation und ethische Perspektiven
Ulrich Hermanns
Der Exkurs zum Wissen im Ökonomie-Praktischen soll zeigen, dass es weniger Vernunft ist, welche die marktwirtschaftlichen Codes motiviert, sondern vor allem Wunsch und Begehren.
Was daraus folgt, ist etwas durchaus Beunruhigendes, wären wir nicht schon sehr daran gewöhnt. Allerdings hilft ein Blick auf das Zusammenspiel von Vernunft, Wissen und Begehren, unsere große Abhängigkeit von der sozial nicht dispensierbaren Kooperation zwischen Produktion und Konsum besser zu verstehen. Ganz gleich, wie selbstverständlich sie sich vor globalem Hintergrund vollzieht.
Solche Perspektiven sind innerhalb traditioneller Unternehmenshierarchien bisher kaum adaptiert – einige Interessierte in der Kommunikation ausgenommen. Genau deshalb ergibt sich das konfuse Bild der fraktalen Jagd nach immer neuen Ansätzen, das Defizit zu therapieren. Meist, ohne dabei auf das Ganze zu achten und daher auch nicht nachhaltig.
Viel zu rigide hat sich die Ökonomie als Wirtschaftswissenschaft von ihren ehemaligen Nachbardisziplinen verabschiedet – Psychologie, Soziologie, Politik, Philosophie. Daher fehlen ihr heute entscheidende eigene Perspektiven. Sie zügig aufzunehmen würde vieles leichter machen.
Der Beitrag beabsichtigt, die Bedeutung der Produktivkraft Kommunikation zu unterstreichen. Kommunikation ist ein dynamisches Element, das weit über Werbung und Marktkommunikation hinausgeht und den Geist von Strategien und Unternehmenskonzeptionen einschließlich des Fundaments von Werten vollkommen durchtränkt.
Konzeptionelle Spurensuche
Die Wirtschaft habe ihre „Fähigkeit zur Besinnung“ scheinbar verloren, so ein Artikel im deutschen Fachmagazin Horizont im Jahr 2019. [1] Die These setzt voraus, dass eine derart possible Selbstreflexion vor dieser Wende in umfassender Manier tatsächlich bestanden hätte. Mangels empirischer Erkenntnisse kann der angebliche Verlust in seiner Wirkung nur abgeschätzt werden.
Eng damit einher geht die Frage nach dem ebenso epistemologischen wie praktischen Status des Umgangs mit den vielen Quellen, aus denen das spezifische Wissen stammt, welches in Unternehmen immer wieder zu Rate gezogen wurde und sozusagen das materiale Fundament der ‚besinnlichen‘ Reflexionen bildet.
Ob Historische Schule, Soziologie oder explizite Managementtheorie – es waren immer Positionen, die außerhalb der unmittelbaren unternehmerischen Praxis liegen, Sektoren der Wissensgewinnung, die bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts vorwiegend in universitärer Tradition oder – so etwa durch Karl Marx – in kritischer Distanz dazu standen.
Technisches Wissen, Mathematik, Ingenieurkunst und Empirie bilden den einen Zweig der ursprünglichen und traditionell unternehmerischen Fähigkeiten, der andere ist die Kunst, Kapital zu generieren und zu mehren. Wobei letzteres nicht nur klassisch finanziell, sondern, etwa im Sinne Pierre Bourdieus, auch als soziales in Form von Beziehungen und Einfluss zu verstehen ist, ohne dass entsprechende Bilanzen in jedem Einzelfall bestehen.
Mit engagierten Praktikern wie Frederick Winslow Taylor (1856-1915) hielt in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhundert die Konzeption des externen Management-Consultings initialen Einzug in die unternehmerische Praxis. Große amerikanische Business-Vereinigungen waren ein diesen Prozess förderndes Forum. Die verfügbaren Kommunikationswege waren damals noch deutlich beschränkt.
Peter F. Drucker hat 1966 den Begriff Knowledge Worker aufgebracht, eine Personifizierung seines früheren Terms Knowledge Work.[2] Im Lauf der Jahrzehnte wurde Wissen vor allem als das Know-how von Spezialisten verstanden, das sich nicht zuletzt in Patenten schützen lässt, wozu spezielle Strategien entwickelt wurden.[3] Für ein übergreifendes Verständnis von Wissen fehlen in vielen Unternehmen die Grundlagen, vor allem bezüglich eines operativen Umgangs mit ihm.
Während den frühen neunzehnhundertsiebziger Jahren war in der Psychoanalyse Jacques Lacans ein strukturelles Modell zu vier Diskursen im Gebrauch, die auf einem speziellen Verständnis des Subjekts beruht.[4] Das Subjekt adressiert einen Signifiant Maître und über diesen eine Region zahlloser Signifikate, die ihrerseits Wissen beinhalten. Als unvermeidbare Nebenerscheinungen werden Objekte hervorgebracht, die mit Plus-de-jouir (Mehrgenießen) bezeichnet werden. In einer aufsehenerregenden Umdeutung eines seiner Diskursmatheme 1972 in Mailand reklamierte Lacan einen Discours du Capitaliste, in dem der Zugang des Subjekts zum Wissen in eigentümlicher Weise blockiert erscheint. Stattdessen erregen Warendinge das individuelle Begehren.[5] Dieser Zusammenhang ist eine kontrastierende Perspektive zum Verständnis von Wissen in Ökonomie und Managementtheorie und insofern bedeutend, als sie Waren, Subjekte und Begehren in einen gemeinsamen Kontext stellt.
Evolution des unternehmerischen Wissens
Was zunächst vor allem auf agrarische[6] und später auf technisch-industrielle Zusammenhänge im großen Maßstab fokussiert war, nahm mit immer komplexer werdenden Organisationen die großen Strukturen und beeinflussbaren Faktoren der Führung und Finanzierung von Unternehmen in den Fokus.
Dies geschah historisch zuerst in den USA, James Oscar McKinsey etwa startete sein später weltberühmtes Beratungsunternehmen 1926 in Chicago. Zu gleicher Zeit steuerte die heute wiederentdeckte Mary Parker Follett beispielsweise mit The Law of the Situation psychologische Aspekte nachhaltig in das Wissenskompendium zur Unternehmensführung ein. Mit Edward Bernays Buch Propaganda von 1928 und seiner praktischen Arbeit fielen einige wichtige Schranken in Richtung öffentlicher Meinung, Konsumenten und Märkte in Hinblick auf ein nicht nur geografisch riesiges Terrain. Institutionalisierte Werbung (Propaganda) hatte den gezielten Anschluss an das Käuferverhalten bereits einige Jahrzehnte früher realisiert, siehe etwa die Aktivitäten von James Walter Thompson (1847-1928) in Massachusetts.
Man kann solche Entwicklungen als Meilensteine operativer Unterstützung verstehen. Die konzeptionellen Plattformen für forcierte Wirkung wurden durch externe Consultants entwickelt, Bernays verstand sich als Counsellor. Deren Beiträge fußten auf spezifischen Perspektiven von instrumenteller Rationalität, Effizienz und Effektivität. Parker Follett introduzierte die Dimension Empathie, Bernays sprach offen von Irrationalität und ließ die verblüfften Adressaten gleichwohl munter bei ihm buchen. Tiefenpsychologische Aspekte wurden etwas später über Ernst Dichter, den Wiener, der 1938 in die USA emigrierte, intensiv vermittelt und so in das unternehmerische Tableau von Rationalität und Wissen eingeschrieben. Dabei besaß Edward Bernays schon 1920 das offizielle Copyright an bedeutenden Schriften seines Onkels Sigmund Freud für den amerikanischen Markt, so etwa an A General Introduction to Psychoanalysis (Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse von 1917).
Wesentlich institutioneller geprägt waren insbesondere die Beziehungen von großen und – trotz fortwährender Rezessionen – stark wachsenden Unternehmen zu Miteigentümern, Banken und Aktionären. Das aus solchen Bezügen resultierende Wissen war zugleich in die operativen Strukturen von Bilanzen und Gesellschafterbeschlüssen funktionell und finanztechnisch eingebunden. Hier gewinnen bezüglich verbindlicher, rechtlich belastbarer Fixierungen die Anwaltskanzleien enorme Bedeutung.
Die Finanzierung privater Unternehmungen geht seit je eng mit externen Institutionen von Macht einher. Damit verbunden sind zugleich deren Teilhabe und Verteidigung. Mit dem Beginn der Industrialisierung erfolgen Verschiebungen der Machtverhältnisse von despotischen, aristokratischen Trägern in Richtung neuer Generatoren von Werten in Form monetärer Äquivalente. Mit der Etablierung des Zugriffs der damals führenden europäischen, weltumspannenden Handelsnationen auf Kolonien kündigte sich bereits zuvor eine neue Dimension von Ökonomie an.
Die Rolle von Staaten und ihrer administrativen Organe verschiebt sich – trotz aller Blockadeversuche seit dem achtzehnten Jahrhundert – in Richtung einer Laissez-faire Politik. Nicht zuletzt die Gewinne aus kolonialen Aktivitäten und dem Überseehandel schwemmten scheinbar herkunftslosen Mehrwert ein, der das despotische Herrschaftsmodell der internen Kontrolle sprengte.
In Peau noire, masques blancs reflektiert Frantz Fanon 1952 eine psychische Konstellation, die durch den französischen Kolonialismus propelliert wurde, jedoch ganz und gar nicht von diesem ‚gewusst‘, sondern vorwiegend instrumentalisiert und bekämpft wurde. Die Befreiungskriege und -bewegungen in Afrika und Asien waren eine späte Folge.[7]
Damit sind wir in einer Phase nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in dessen Folge die US-amerikanischen Modelle der Markterschließung und Unternehmensführung zunehmend zum Orientierungsmaßstab der westlichen Welt wurde. Wie sehr bereits die Kriegswirtschaft des La Grande Guerre zur außerordentlichen Beschleunigung der Beherrschung industrieller Prozesse geführt hat, ist bezüglich eines Wissens darüber weitgehend erst viel später sichtbar geworden und auch heute noch eher etwas für Spezialisten. Im damals genuinen Fokus standen die Bereitstellung letaler Kapazitäten sowie die notwendige Kooperation der industriellen und militärischen Logik.[8]
Eine besondere Form unternehmerischen Wissens hatte sich schon davor gebildet. Allerdings ebenso nur auf der operativen Ebene, nicht auf der, die auch das ‚Andere‘, den Antrieb, von dem es ausging, berücksichtigt. Die großen sozialen Bewegungen nämlich fallen in diesen Sektor. Revolten, die Institutionalisierung von Vertretungen der vorwiegend manuell Arbeitenden, die großen Auseinandersetzungen und die konfliktmäßigenden Sozialgesetze, zumindest in Deutschland, führten zu unternehmensintern absorbierten Kompetenzen. Hier insbesondere sozialpolitischer Natur.
Wissensformen und Pragmatik
Nicht erst seitdem die technologischen Perspektiven der Massenproduktion unausweichlich auf Automation bauten, das heißt seit der Erfindung des Silicon Chips und beständig wachsender Rechnerkapazität, ist exorbitanter Konsum das notwendige Pendant.[9] Die vermittelnde Größe ist Kaufkraft und diese wiederum bedarf zu ihrer Realisierung des Begehrens und des Wunsches – eine der Psychologie und vor allem der Psychoanalyse entlehnte Konzeption Dort bildet sie eine von den zentralen Kategorien der Nützlichkeit – seinerzeit liebevoll durch die Grenznutzenschule gehegt – fundamental geschiedene Triebkraft. Dank ihrer erscheint die Welt der Dinge, ebenso wie die des ihnen verbundenen Immateriellen, von Wünschen durchtränkt.
Wenn wir von Wissen und der Reflexion darauf in dem gesellschaftlich dominanten Bereich von Wirtschaft (Ökonomie) mit ihrer umfassenden Pragmatik sprechen, wäre zu fragen: Was ist davon dort in einem nicht bloß utilitaristischen Sinn präsent? Wobei Wirtschaft in diesem Zusammenhang vor allem die Unternehmen meint, die darin agieren. Die Beantwortung der Frage kann als Reflexionsakt verstanden werden. Sie bedarf reflektierender Protagonisten.
Unter diesem Aspekt gibt es zwei Komponenten: das von Führungskräften und Mitarbeitenden aktualisierbare Wissen vorwiegend empirischer, technischer Natur und das ausgelagerten Institutionen inhärente, von ihnen als Organisationsform selbst absorbierte und kultivierte Wissen. Es wird als Dienstleistung bereitgestellt. Damit Unternehmen von ihm in Eigenregie Gebrauch machen können, muss es als Aktivposten des Wissens in pragmatischer Hinsicht – Knowledge-based Resource[10] – zumindest strukturell eingegliedert werden. Dies zielt auf Verhalten und Praxis und umfasst Mitbestimmungsgesetze ebenso wie einen Sarbanes-Oxley-Act.
Was Jürgen Habermas[11] vor über dreißig Jahren als Neue Unübersichtlichkeit dechiffrierte, die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien, kann man auch als damals in ihrer Tragweite nicht erkennbaren Übergangszustand zwischen auslaufendem Keynesianismus – der Staat kümmert sich zu einem weiten Grad um das Wohl seiner Bürger – und sich andeutender Globalisierung verstehen. Diese Globalisierung wurde in der Öffentlichkeit vor allem von ihrer aus Wettbewerbssicht für viele Betriebe und Arbeitnehmer eher bedrohlichen Seite gesehen, der Verlagerung wirtschaftlicher Macht in Form von Arbeitsplätzen, den damit verbundenen Einkommen und dem resultierenden volkswirtschaftlichen Wachstum. Zunächst in die Tigerstaaten und dann zentral ins Reich der Mitte.
Der Fall des Eisernen Vorhangs ließ ergänzend den Sinn des exzessiven und teuren Wettrüstens fraglich erscheinen. Doch die anfängliche Erweiterung und Homogenisierung der marktwirtschaftlichen Sphäre rief zugleich massive Gegenreaktionen hervor.
Wirtschaftliche und politische Entwicklungen seitdem bilden kongruente Orientierungsparameter. Etwa der Kampf um Afghanistan, das Erstarken sich fundamental-religiös tarnender Terrorbewegungen über die Kontinente hinweg – Trotzreaktion auf den Entzug zuvor gewährter Unterstützung in Form von Know-how und finanziellen Äquivalenten –, die fundamentalistischen, durch gigantische Kapitalzuflüsse abgesicherten, Urstaat-Ansprüche despotischer Regime, die ihre uralten Ressourcen in die Konsumtionskreisläufe der großen Industrien einschleusen und Vieles mehr.
Wo der entfesselte Erfindungsreichtum der Finanzindustrie Zentralbanken zu nur marginal widerspenstigen Helfern degradiert und vor allem Konsumentinnen und Konsumenten weltweit den Preis für vorangehende Deregulierungen zu zahlen haben, kann man durchaus von einem eher sich seiner selbst vorbewussten Gegenpol des komplexen Wissens von Unternehmen sprechen.
Die auf der Oberfläche wahrnehmbaren Weiterführungen und Reaktionen in Richtung ‚alternativer Wahrheiten‘ vollziehen sich zu einem Großteil in virtuellen, digitalen Räumen und Communities, deren technologische Basis – World Wide Web – nicht zuletzt der militärischen Kommunikation abgerungen und ungeregelt kommerzialisiert wurde.
Fundierte Bilanzen
An allen Stellen aber wird jeder Beitrag, der in ökonomischen Bilanzen positiv messbar ist, mit einem Gegenposten belastet, der im Objektiven durch ein Begehren der Menschen insofern zu kompensieren ist, als dass sie dem Prozess treu bleiben. Ihn durch Konsum affirmieren. Was allerdings nicht ohne weitere Gegenbewegungen geht, sowohl auf individueller Ebene wie in sozialer Hinsicht. Sowohl gelungene Anpassungen bei den Einen als auch Defizite, die sich tief in die Seelen und Lebenserwartung der Anderen spiegeln.[12]
Faktisch allerdings tauchen Splitter dieser Facetten eines objektiven Unbewussten lediglich als begrenzte und auf meist auf soziale Randgruppen gerichtete Konflikte auf, als fortwährender Sand im Getriebe. Mit seinem Konzept der Externalisierungsgesellschaft beschreibt Stephan Lessenich auf aktueller Basis, was vor sich geht.[13] Was ihm dabei jedoch entgeht, ist die bereits erwähnte Währung des Begehrens, das heißt der Kraft, die letztlich die Menschen dazu bringt, die allwaltenden Brüche, Fraktale, zu internalisieren, zu glätten, lebens-praktisch etwas zu sühnen, das mit Schuld konnotiert ist. Zu diesem Begriff wäre Vieles zu erläutern, annähernd dazu Einiges in Thomas Macho, Bonds. Schuld, Schulden und andere Verbindlichkeiten.[14]
Vor solchem Hintergrund kann ein jeweiliges Unternehmen, kann ‚die‘ Wirtschaft beziehungsweise die Träger des Wissens dort, immer nur einen sehr eingeschränkten Horizont von dem haben, was aus den Widerspruchsverhältnissen in der Welt resultiert. Managementgemäß und im Rahmen von Corporate Social Responsibilty sorgen die Verantwortlichen dafür, die relevanten Faktoren zu identifizieren, Schlüsse für das Handeln der Organisation zu ziehen und sie umzusetzen. Und das ist aus unternehmerischer Sicht auch vollkommen logisch.
Das Navigationsinstrumentarium allerdings kann sich dabei auf sehr unterschiedliche Grade seismographischer Sensibilität beziehen. Aus Applikationen von Konzepten der klassischen und der ‚strukturalen‘ Psychoanalyse auf die Unternehmenspraxis ergeben sich allerdings Einsichten, die Widersprüche durchaus akzeptieren. Die ohne sie gar nicht auskommen.
Die Schnittstelle von Ökonomie und Begehren ist durch eine Passage in Sigmund Freud, Die Traumdeutung, besser zu verstehen:
Um es in einem Gleichnisse zu sagen: Es ist sehr wohl möglich, dass ein Tagesgedanke die Rolle des Unternehmers für einen Traum spielt; aber der Unternehmer, der, wie man sagt, die Idee hat und den Drang, sie in die Tat umzusetzen, kann doch ohne Kapital nichts machen; er braucht einen Kapitalisten, der den psychischen Aufwand für den Traum bereitstellt, und dieser Kapitalist, der den psychischen Aufwand für den Traum bereitstellt, ist alle Male und unweigerlich, was immer auch der Tagesgedanke sein mag, ein Wunsch aus dem Unbewussten.
Andere Male ist der Kapitalist selbst der Unternehmer, das ist für den Traum sogar der gewöhnliche Fall. Es ist durch die Tagesarbeit ein unbewusster Wunsch angeregt worden, und der schafft nun den Traum. Auch für alle anderen Möglichkeiten des hier als Beispiel verwendeten wirtschaftlichen Verhältnisses bleiben die Traumvorgänge parallel; der Unternehmer kann selbst eine Kleinigkeit an Kapital mitbringen; es können mehrere Unternehmer sich an den selben Kapitalisten wenden; es können mehrere Kapitalisten gemeinsam das für die Unternehmer Erforderliche zusammensteuern.[15]
Das lange Zitat zeigt, dass ohne die Annahme eines Unbewussten, einer Tag- und einer Nachtwelt unserer Kultur, isolierte Vernunft, auch eine ökonomische nicht, in keiner Weise zu verstehen ist.
Ökonomie ist vielmehr der Austragungsort bedeutender Widersprüche von Begehren und Kultur.
Als Ganzes verstanden, als eine sich gegenseitig vermittelnde Einheit, löst sich ein festes ‚Reich‘ des Wunsches auf in eine libidinös durchtränkte Konstellation aus nur bedingt wissenden Menschen und an der Befriedigung von Wünschen arbeitenden Unternehmen, in denen diese Menschen arbeitsteilig tätig sind. Dies nicht zuletzt, um die nötigen Äquivalente zu erwerben – mit Ausnahme derjenigen, die bereits reichlich davon haben, aber dennoch nicht anders können, als selbst nach wie vor mehr zu wünschen.
Eine griffige Formel, die sich aus diesem Zusammenhang ergibt, lautet: Das Unbewusste des Unternehmens ist sein Funktionieren, dem zu folgen es nicht umhin kann. Dieses Unbewusste ist in nicht geringem Maße das seiner Gesellschafter.
Ob man von diesem Ausgangspunkt zu einem generell konsistenteren Bild des unternehmerischen und makroökonomischen Prozedierens kommt, ist aufgrund der wenigen Einblicke ungewiss. Drei eigene langjährige Erfahrungsfelder vor globalem Hintergrund bestehen. Sie beziehen den Menschen auf der Basis von Empowerment insofern anders ein, als die Annahme eines Unbewussten nicht verschwiegen wird. Andererseits lässt sich dieses auch nicht in klassische Empirie verwandeln, ohne dem Konzept untreu zu werden. Deshalb ist der explizite Bezug auf Unbewusstes extrem restriktiv. Hinsichtlich etwa der Konsequenzen in Richtung von forciert seine Grundlagen erforschender gemeinsamer Wertschöpfung – Joint Value Creation – und notwendigerweise re- justierter distributiver Gerechtigkeit kommt man zu neuen Ergebnissen.
Jenseits des Silicon Valley –
Vom Wissen zum Gewissen
Im klassischen Verständnis Immanuel Kants würden wir zwecks Antwort die Grenzen der ökonomischen Vernunft im Sinne seiner Kritik zu rekapitulieren haben. Insbesondere, weil die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zu einem großen Maß außerhalb ihrer liegen, nämlich im skizzierten Spannungsfeld von Begehren und Ökonomie.
Jedes Einzelwesen kann dazu reflektierend Sinnvolles beitragen, indem es sich als Element der Menge versteht, die es zu beschreiben gilt. Entsprechend der Russellschen Antinomie (Paradox) von 1903 ist das aber nicht das, was Markt- und Konsumentenforschung zu objektivieren vermögen. Es nutzt auch nichts, verschämt die Paralogismen der reinen Vernunft zu bemühen.
Man solte genau zuhören und verstehen können, um das Selbst, das Subjekt, in managementmäßigem Verständnis als Absender wie als Adressat an die richtige Stelle einer Konzeption zu positionieren. Dazu gehört, idealistisch gesprochen:
- Konsumenten zugleich als Mitmenschen zu verstehen, als ‚Fellows‘
Consumers – The Integrating Subjects
- Kommunikation daher als einen Weg zur Wahrheit zu akzeptieren –
Communication – Creation of Meaning
- Ökonomie als einen unverzichtbaren Ort der Herstellung werthaltiger Dinge und Beziehungen zu achten
Economy – A Place to Create Value
- Technik als Entäußerungsform komplexer rationaler Widersprüche von Zugänglichkeit und Unzugänglichkeit anzuerkennen
Technology – A Driving Factor of Culture
- und das Soziale als dauerhafte Begegnungsstätte ebenso individueller wie differenter Menschen wertzuschätzen
Environment – Citizenship in a World of Global Cultures.
Weil es aber in allen fünf Bereichen zugleich unmittelbare Negativpositionen gibt, die bisweilen die deutlich stärkere Dynamiken aufbieten, heißt es, diese Antipositionen zugleich auf dem Radar zu haben.
In diesem Sinne wäre emanzipierte, reflektierte ökonomische Vernunft etwas, das Negativität, Abspaltung, Destruktivität, Verselbständigung, Perversionen als das nimmt was sie sind. Als nicht aus der Welt zu schaffende Triebkonstellationen, die zugleich jedes unternehmerische Handeln beeinflussen.
Die Produktivkraft Kommunikation ist die bevorzugte Größe, diesbezüglich Einsicht zu schaffen und Selbstvertrauen zu generieren.
Doch, wie Frank Zappa einst so sinnenfällig wie zynisch zum Ausdruck brachte: The torture never stops.
[1] Janett Schwerdtfeger, Warum wir eine neue Vernunft in der Wirtschaft brauchen (2019) in: Horizont. Zeitung für Marketing, Werbung und Medien (Deutscher Fachverlag GmbH, Frankfurt am Main), Ausgabe 33.
[2] Peter F. Drucker, The Effective Executive (1966). Landmarks of Tomorrow (1959).
[3] Erickson G. Scott, Rothberg Helen N., Intellectual capital in business-to-business markets (2009). Elsevier: Industrial Marketing Management, Volume 38, Issue 2, February, Pages 159-165.?Slater, Stanley F. and Eric M. Olson, Hans Eibe Sørensen, Creating and exploiting market knowledge assets (2012). Emerald: Journal of Business Strategy, Volume 33 Issue 4, pp. 18-27.
[4] Lacan, Jacques , Encore. Le Séminaire de Jacques Lacan. Livre XX (1972 – 1973) (1975). Paris: Éditions du Seuil.
[5] Lacan, Jacques , Du discours psychanalytique. Discours de Jacques Lacan à l’Université de Milan le 12 mai 1972 (1978), in: Lacan in Italia 1953 – 1978, Milan: La Salamandra, 32-55.
[6] Zu den Anfängen des elaborierten Verständnisses von Marketing, seinen Wurzeln in der deutschen Historischen Schule und seinen agrokulturellen Bezügen in Wisconsin und Massachusetts (USA) siehe: Jones, G. D. Brian und Monieson, David D., Early Development of the Philosophy of Marketing (1990). Journal of Marketing, January, pp 102-113.
[7] Womit zugleich die militärische Komponente neuzeitlicher Wirtschafts- und Handelsaktivitäten benannt ist.
[8] Die Folgen inkonsequenter Finanzierungslogik in Deutschland zeigt sich an den Verwerfungen in den vormals wohlhabenden Mittelstandsschichten aufgrund der rapiden Entwertungen der damaligen Währung ‚Mark‘.
[9] Speziell im Fordismus war die Balance von Kaufkraft und Massenproduktion eine zentrale Komponente.
John Kenneth Galbraith hatte mit The Affluent Society 1958 einen markanten Kontrapunkt zur Konsumlogik gesetzt, die damals einen selbstverständlichen Antrieb unternehmerischer Aktivitäten bildete.
Vance Packard, The Hidden Persuaders (1957) versuchte über tiefenpsychologische Phänomene aufzuklären, die mit Edward Bernays, Ernest Dichter und vielen anderen zum externen Wissensapparat avancierter Unternehmen im Konsumgütersektor geworden waren.
Herbert Marcuses etwa gleichzeitige Arbeit Eros and Civilization: A Philosophical Inquiry into Freud (1955) und das spätere One-Dimensional Man: Studies in the Ideology of Advanced Industrial Society von 1964 zielten auf ein Verständnis individueller und gesellschaftlicher Phänomene, die aus genuin unternehmensspezifischer Perspektive nicht als solche erkennbar waren, gleichwohl aber das Spielfeld konditionierten.
[10] Wiklund, Johan and Dean Shepherd (2003), Knowledge?based resources, entrepreneurial orientation, and the performance of small and medium?sized businesses, Strategic Management Journal, 24, Pages 1307-1314.
[11] Habermas, Jürgen (1985), Die Neue Unübersichtlichkeit. Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien, Stuttgart: Merkur, Heft 431, pp 1-14, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH.
[12] Sullivan, Daniel and Till von Wachter (2009), Job Displacement and Mortality: An Analysis Using Administrative Data, The Quarterly Journal of Economics, Volume 124, Issue 3, August, Pages 1265-1306, Oxford University Press. Die Autoren stellen fest, dass die Sterblichkeitsrate von männlichen Beschäftigten fortgeschrittenen Alters im auf das unfreiwillige Ausscheiden folgenden Jahr um 50% bis 100% höher ist, als ansonsten zu erwarten. Für einen entlassenen vierzigjährigen Arbeitnehmer resultiert daraus ein Verlust an Lebenserwartung von einem bis anderthalb Jahren bei Fortbestehen der Situation. Datenbasis aus Pennsylvania (USA) während der 1970er und 1980er Jahre.
[13] Lessenich, Stephan (2016), Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis, München: Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag.
[14] Macho, Thomas, Bonds. Schuld, Schulden und andere Verbindlichkeiten (2014), München: Verlag Wilhelm Fink. Insbesondere darin: Pircher, Wolfgang, Ewige Schuld und lässliche Schulden.
[15] Freud, Sigmund, Die Traumdeutung (1900), Kapitel VII: Zur Psychologie der Traumvorgänge, C. Zur Wunscherfüllung. Div. Ausgaben.