Sprechen im eigenen Namen
06.08.2022 • ERDROTATION
"Psychoanalyse erlernt man zunächst am eigenen Leib, durch das Studium der eigenen Persönlichkeit."
Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916)
Samstag, 6. August 2022, 14:00 Uhr
Erdrotation – Dialogorientierte, undogmatische Gesprächsrunde.
Ort Pardo's (Rückseite des K 21), Düsseldorf
Thema:
- Sprechen im eigenen Namen
Kann es nicht bisweilen schwer sein, von äußerer Übermacht sich die eigene Sprache nicht verschlagen zu lassen?
Um dann schließlich obskuren Regisseuren nachzugeben, die mit lauten Appellen fordernd unterwegs sind? Ob Autoritäten in der eigenen Lebensgeschichte oder hysterischen Diskursen im Gesellschaftlichen?
Selbst, wem solche subtilen Dominanzansinnen bekannt sind, mag bisweilen an der Wirksamkeit zweifeln, etwas anderes mit strukturell gleichen, doch viel schwächeren Mitteln bewirken zu wollen. Resignation und Schweigen keinen Raum zu geben, fordert geweisse Kraft.
Die antiken Rhetoriker legten sich große Erschwernisse auf, ihre eigene Stimme zu stärken, um dort, wo sie situativ gefordert war, gegen massive Widerstände zu bestehen.
Resonanzen
Solches jedoch ist ein bloß formaler Rahmen. Wichtiger ist das Auszudrückende: Was ist es denn wohl, das die Menschen im eigenen Namen zu sagen hätten? Wie an solchem festhalten, wo das jeweilige Ich nicht einmal Herr im eigenen Haus ist, wenn man der Einsicht Freuds folgen darf?
Pauschal sind solche Fragen nach spontan benennbarem Sinn und Gegensinn kaum beantwortbar.
Ohne den oder die Adressaten einzubeziehen, bleiben die Signifikate taub.
Es gibt also keine Unmittelbarkeit von Selbst, die ausdrückbar wäre. Ganz abgesehen davon, dass die den möglichen Adressaten zugeordneten grammatikalischen Artikel – der, die, das – längst nicht in allen Sprachen differenziert werden. Gibt es ein Sprechen ohne Erotik?
Übertragung
Nicht gleichgültig ist also, ob der, die oder das Andere, als einzelnes oder im Plural, präsent oder in Gedanken, oder sogar abwesend von solchen Bewusstheitsqualitäten gemeint sind, wenn es um sprachliche Beziehungen geht. Ohne Übertragung und Gegenübertragung kommen Dialoge nicht in Gang.
Dies sind unvermeidliche Transgressionen, denen notwendigerweise ein Antrieb, ein Begehren zugrunde liegen muss.
Dabei wird dieses, weil jede und jeder darüber verfügt, in seinem Anspruch nicht selten mittels kollektiver Maßnahmen zur verkürzten Regelung der Welt, abgewiesen.
Sprache vielmehr affirmativ als ein Instrument von Herrschaft verwendet, in deren Sphäre die Subjekte bevorzugt als unterworfene vorzukommen haben. Ob Beichtstuhl ehedem oder anderswo Unterricht, arbeitsvertragliches Prozedieren oder Hingabe an die expressive Sprache verweigende, tosende Ökonomie der Waren. Selbst die psychoanalytische Couch muss teuer bezahlt werden. Die Gewaltverhältnisse in der Welt ändern sich gleichwohl nicht.
Produktives Unbewusstes
Man kann über solch allgegenwärtiges Repressionsgeschehen wissen! Unser Unbewusstes erzählt darüber Tag und Nacht.
Selbst wenn durch solche Einsicht unmittelbar Weniges von allein einfacher wird, depressive Gefangenschaft nie auszuschließen ist, öffnet es die Tür einen Spalt, um schweigende Übermacht in eigenes Sprechen zu verwandeln – Leiden in Tun.
Welch schwieriges Fragenspektrum sich dann bezüglich dessen auftun mag, was jenseits des oft schon vorgeburtlich zugeordneten Namens liegt, kann sich erst im Verlauf von Erörterungen ergeben. Prozesse, Konnexionen, Sinn.
Unzugänglich jedenfalls muss es nicht bleiben, sofern sich Gegenüber finden, dies gemeinsam zu erkunden.
Was sich auf diesem Weg erschließen kann, ist die Erfüllung eines tiefen Begehrens, nämlich vom Anderen etwas zu erhalten, das man selbst nicht befähigt ist, in Eigenregie zu erzeugen, zu geben.
Dass dabei dieser Andere, die Andere(n) selbst Gestalt gewinnen, bedeutet Herstellen von Welt.
Im eigenen Namen zu sprechen, ein Wunsch, dem Skepsis angesichts seiner Komplexität nicht fremd bleiben muss.
Depersonalisierung
Eine weiterer Aspekt zur Orientierung: „Es ist etwas sehr Merkwürdiges, etwas in seinem eigenen Namen zu sagen; denn es ist gerade nicht im Moment, wo man sich für ein Ich, eine Person oder ein Subjekt hält, dass man in seinem Namen spricht. Im Gegenteil, ein Individuum erwirbt erst wirklich einen Eigennamen, wenn es die strengste Depersonalisierungsübung hinter sich hat, wenn es sich den Mannigfaltigkeiten öffnet, die es von einem Ende zum anderen durchziehen, den Intensitäten, die es durchlaufen.“ So Gilles Deleuze in Brief an einen strengen Kritiker (Unterhandlungen 1972–1990).
Wie immer, folgen die Gedanken sich selbst. So sich weitere Mitstreiter*Innen einfinden, als offenes, begehrens-ökonomisches Forum.
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