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Werden Sie Oneironaut!

Henri Berners

Kopf-Sprung: Auf Tauchfahrt durch den Traum

Sehr geehrte Damen und Herren, Freunde und Gäste des Hauses H6, des Hauses der Hildener Künstler, Freunde der Kunst und der Künstlerin Jutta Brandt-Stracke. Auch ich heiße Sie herzlich willkommen an diesem Abend zur Eröffnung der Ausstellung „Kopfkino“. Hier im H6, dem Pendant zu K20 und K21 im benachbarten Düsseldorf.

Verehrte Kinobesucher, ich begrüße Sie zur Premiere von „Kopfkino“.

Das H6, heute ein Lichtspielhaus? Kopfkino?

Dann wäre ich der Platzanweiser, diese unliebsame, aber dennoch nützliche Person, die die wohlige Dunkelheit des Vorführraumes mitunter mit dem Lichtkegel seiner Taschenlampe stört, damit alle Besucher ihre Plätze finden und einnehmen können. Ein Lotse also, dessen Arbeit damit getan wäre, Licht aus, Film ab zu rufen, damit der Zuschauer, geborgen im Mutterschoß des Kinosaals das Licht der Welt erblickt, das auf der Leinwand flimmert. Geburtshelfer?

Nein, das erwartet uns heute Abend nicht. Kopfkino ist kein Lichtspiel der üblichen Art. Kopfkino ist eine andere Dimension, eine andere Perspektive der Wahrnehmung.

Jutta Brandt-Stracke stellt ab heute für drei Tage eine Kollektion Bilder aus, die sie im Zeitraum September letzten Jahres bis heuer Oktober kreiert und gemalt hat.

Dass zeitgleich Reformationstag, Allerheiligen und Allerseelen gefeiert werden, steht in keinem auch mittelbaren Zusammenhang. Vielleicht? Und dass die Menschen, die sich vom US-Marketing haben ködern lassen, heute Halloween begehen, hat wohl auch mit Kopfkino keine Berührung.

Diesen Zyklus präsentiert Jutta Brandt-Stracke uns als „Kopfkino“, verrät uns die Werke als „Illustrationen von ihrem Erleben“.

Letzteres bedarf prima Vista keiner weiteren Erläuterung, Kopfkino jedoch ist nicht so sehr als Begriff, als Technik, als Produktionsort bekannt, sodass eine Einführung hilfreich wäre, die ich hier versuchen möchte.

Diese Einführung habe ich „Kopf-Sprung“ betitelt, das Kompositum optisch in beide Begriffe sauber getrennt, aber mit einem Gedankenstrich wieder verbunden. Wie bei einer Lobotomie, der Trennung der Hirnhälften, dieser neurochirurgische Eingriff, der häufig in US-Amerika bei Menschen meist ohne Erfolg erfolgt, die crazy sind, um die Crazyness auszumerzen. „Einer flog übers Kuckucksnest“, you remember?

Diesen Akt, diese Lobotomie begehen auch wir immer dann, wenn wir aufwachen. Wir verlassen unseren Traum, entlassen unseren Traum, eilen ins Tagesgeschäft. So gehen wir mit unseren Träumen um.

Nun, Kopf-Sprung ist eine Bewegungsart, bezeichnet verkürzt den Tauchgang des Oneironauten.

Was ist ein Oneironaut? Schnell erklärt. Oneiros ist das altgriechische Wort für Traum. Nautik ist die Kunst des Steuermanns. Der Oneironaut ist folglich ein Lebewesen, das sich im und durch das Medium Traum bewegt, um dieses Medium zu erforschen.

Kopf-Sprung verpflichtet sich der Nautik, der Technik, das Schiff durch die Passage zu navigieren. Der Kybernetiker ist gleichfalls im antiken Sinne ein Steuermann. Kopf-Sprung ist mithin auch der Versuch, bis an den Ursprung des Traums zu gelangen, den Ort aufzufinden, wo der Traum entspringt. Kopf-Sprung ist die Reise des Oneironauten zum Ursprung des Traums, der im Kopf entspringt. Kopf-Sprung ist der Ort, wo Traum statthat, die Instanz der Wahrnehmung vom Traum, vielleicht seiner Deutung, die aber im Jenseits vom Traum beheimatet ist.

Was ist Kopfkino? Kopfkino reklamiert sich jüngst als wissenschaftliche Disziplin in US-Amerika. US-Amerika schickt sich an, alles auszuspähen. So auch Kopfkino, ein Geschäft, das von Neurologen, Neuroplastikern, Neurobiologen und Gehirnforschern emsig betrieben wird, um dem Traum auf die Schliche zu kommen. Unter dem Stichwort luzides Träumen führt der Weg der Forschung zum Klarträumer. Luzides Träumen ist mithin die Fähigkeit, Träume in Regie zu nehmen, den Ablauf zu gestalten und zu bestimmen. Das vermag der Klarträumer, behaupten sie. Ein Paradoxon, inmitten des Schlafs agiert der Träumer hellwach, und spielt mit seinem Traum. Jeder sein eigener Coppola für Albträume, Fellini für Orgien, Truffaut für Romanzen? Ist der Traum doch der letzte Hort von Anarchie. Yes we can, die Verheißung, das Paradoxon wie den gordischen Knoten zu durchschlagen, um ins Unbewusste zu gelangen. Denn da reklamieren sie Freud, demzufolge der Traum der Königsweg zum Unbewussten ist. Ich meine, mission impossible. Dieser US-amerikanische Weg easy going zum Unbewussten ist ein Jakobsweg. Lang, beschwerlich, erfolglos. Die das Ziel erreichen, Destination Santiago de Compostella, finden den Schrein, der die Gebeine von Jakob birgt. Sind nicht im Unbewussten gelandet, nur im Signifikanten angekommen.

Ein Drittel unserer Zeit schlafen wir, verbringen wir im Reich der Träume. Doch der Traum führt in der Philosophie ein Schattendasein, ist eine Randerscheinung, ein Phänomen am Rande des Lichtkegels der Erkenntnis. Bis zur Neuzeit hatten Träume noch ihren Auftritt. Ich denke an Hieronymus Bosch, Garten der Lüste, irre, wilde Träume, die er auf das Tableau projiziert und fixiert hat. Bosch war Adamit, Adamiten waren durch die Bank Drogos, tranken Tollkirschenextrakt um ihr Bewusstsein zu erweitern, zu verändern. Es waren die Learys und Hoffmanns, die noch dem Charme des Mittelalters verfallen waren.

Denn nicht zuletzt war es der alte Haudegen Descartes, der den Traum zum Verschwinden brachte. Abends vor dem Kamin seine Rituale des Zweifelns, Verzweifelns, Träume ich? Bin ich gar?. Er entkam dem Traum, wie ein Haudegen mit dem Schlachtruf „cogito, ergo sum“.

Damit verschloss er für lange Zeit die Pforte zum Unbewussten. Das Mittelalter zu überwinden, galt es, die reine und klare Rationalität als Programm der Menschheit zu fordern, zu gründen, zu errichten, wie gotische Kathedralen. Aus der Traum. Aus!! AUS???

Aber, Träume sind Schäume, und wie.

Denn der Verschluss zum Unbewussten wurde auf die Jahre undicht, porös, es schäumte, und dieser Schaum wurde bemerkt. Da drang etwas in das Fundament des von Wahn und Aberwitz gereinigten Denkens. Man fühlte, dass das Fundament nicht auf festem Grund aufsaß. Darunter waberte und wogte es. Ein Sumpf, ein Moor gar, das drohte, das Gebäude zu verschlingen. Dieses Schäumen beschäftige einige Denker. Ich nenne hier nur zwei.

Schopenhauer und Nietzsche spürten diesen Eindringling, begriffen diese Signale des Unbewussten, diesen dunklen, blinden Trieb, der aus dem Diesseits der Rationalität aufstieg. Sie nannten diese Kraft Wille, die Welt als Vorstellung zu gestalten der eine, den Willen als Macht zu erfahren, der andere. Henri Bergson und Charles Baudelaire gesellten sich dazu, im Unbewussten eine produktive Kraft zu erkennen. Der Weg war nicht mehr weit zu Sigmund Freud, der letztlich dem Traum zu seinem alten Recht verhalf, ihm eine analytische Kraft bescheinigte, die Zeichen des Unbewussten erfahrbar zu machen.

Das „Es“ von Freud finde ich ich im Begriff der Wunschproduktion von Deleuze und Guattari flüssiger definiert. Plastischer als das statische „Es“. Produktionsorientiert in der Sprache Betriebswirte. Wunsch ist das Begehren, das im Unbewussten seinen Ursprung und seine Heimat hat. Der Wunsch ist die Kraft und Bewegung, die Welt des Realen zu gestalten, zu permutieren, aber auch, die Fiktion einer Realität zu sprengen.

Um die Simulation des Realen als Realität zu bewahren und zu bereichern, setzt der ökonomisch-industrielle Komplex die Wundermaschinen ein. In den Wundermaschinen befindet sich das Begehren, der Wusch, der Traum als konfektionierte Ware. Wundermaschinen sind Spiegelsäle, die uns deuten, darin ist der Wunsch zum Thauma konvertiert und eingefangen, Das große Staunen. Boäh. Wundermaschinen machen wunschlos, machen wunschlos glücklich: die Traumfrau, der Traumurlaub, das Traumauto: Von Null auf zweihundert in acht Sekunden. Boäh.

Juttas Kopfkino ist Ausfluss dieser Wunschproduktion. Der Oneironaut gelangt schließlich auf seinem Tauchgang zur Quelle, dort, wo aus der Tiefe des Unbewussten die Fragmente, die Vektoren, die Partialobjekte, die Botschaften ins Freie strömen, in die Freiheit des Mediums Traum. Ja, der Träumer ist ein Libertin. Der Traum als Hort der Anarchie ist zugleich letzter Ort der Freiheit. Der Träumer verfügt über seinen Traum und vice versa. Der Träumer als der Traum komponiert und illustriert aus dieser Fülle des freigesetzten Unbewussten sein Erleben. Der Träumer ist Produzent, Projektor und Betrachter in einer Einheit. Autismus. Besser, wahre Dreifaltigkeit. Vater, Sohn, Heiliger Geist – Es, Ich, Über-Ich, Produktion, Konsumtion, Distribution ???

Jutta hält diesem Strömen eine Leinwand entgegen, wie ein Wehr, das diesen Strom für eine Momentaufnahme zu Zeichen gerinnen lässt. Das Strömen, wie Plasma, das sich in Strukturen kristallisiert, Gestalt annimmt.

Diese Zeichen als Bildkomposition, eine Illustration vom Erleben, sind Erzählungen, von Schrift nicht befallen, die die Stimme tötet.

Lassen Sie sich auf diese Bilder ein, lauschen Sie den Erzählungen, die darin eingebunden sind, aber weiter strömen. Denn die Leinwand ist durchlässig, wie ein Schleier, sodass der Strom jenseits der Bilder seinen Weg fortsetzt, breiter wird, sich verzweigt in einem riesigen Delta, Sümpfe bildet, mitunter zum Stehen kommt, wieder hie und da zurückfließt, bis er irgendwann mündet, vielleicht, oder nie.

Kopfkino ist kein Movie, das sich ständig wiederholt, Sequenz für Sequenz. Kopfkino ist die Aufforderung zu Träumen, Räume zu entfalten, durch Zeiten zu reisen. Erleben zu erleben.

Werden Sie Oneironaut!

Text zur Ausstellungeröffnung der Künstlerin Jutta Brandt-Stracke am 31. Oktober 2014.

 

 Ruinen, Jutta Brandt-Stracke 

© Copyright Abbildungen 2014 ff: Jutta Brandt-Stracke, Düsseldorf

Links:

www.brandtstracke.de
http://www.youtube.com/watch?v=NmV9Z_qUmRA&feature=youtu.be

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