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Pour être – Vielheit, Verschiebung und Appell im Handwerk des Unbewussten

Ulrich Hermanns

La question, c’est de produire de l’inconscient, et, avec lui, de nouveaux énoncés d’autre désirs: le rhizome est cette production d’inconscient même.

Deleuze, Guattari, Rhizome

 

Die nachfolgenden Ausführungen behandeln einige Implikationen eines in beträchtlichem Maße urszenisch-fundierten Konzepts, das einst angetreten war, der singulären Ordnung des Signifikanten entgegenzuwirken. Sie versetzen uns mehr als dreißig Jahre zurück.

Auslöser der kurzen Darstellung war die beiläufige Frage, wie es denn um die Urheberschaft der griffigen Formulierung bestellt sei: „Wir sind die Schmiede des Unbewussten, wir hämmern und schlagen flach.“[1]

Es wäre zu einfach gewesen, es beim Benennen von Werk und Autor zu belassen, denn in der Frage lag mehr, unter anderem die Bekundung, das Motto recht lange präsent gehalten zu haben. Neben dem möglichen Interesse an der Originalformulierung.

Diese Begleitbotschaft besagte, dass da etwas repetiert. Dass also das Unbewusste spricht, dasjenige, welches zugleich das Objekt des infrage stehenden Satzes ist. Ohne diese Binnenkonfiguration der Wiederholung wäre auch eine Antwort gar nicht erst in den Bereich des Realisierbaren getreten. 

Der erste Teil der Ausführung befasst sich mit dem deutschen Motto, das eine Übersetzung ist, der zweite mit dem französischen Original. Dem schließt sich eine Skizze zu möglicher Relevanz an. 

I. Vielheit und Verschiebung: Wir sind Schmiede

Metallurgischem Prozedieren, wie es Schmiede realisier(t)en, geht jeweils ein eindringliches Durchwühlen des Erdreichs vo­ran, um an das metallurgische Substrat des Schmiedens zu gelangen. Die darin präsenten Strata begegnen uns als ebenso faszinierende projektive Resonanzräume – Gottesurteile –, wie es die Gefüge der zu schmelzenden Erze oder zu bearbeitenden Metalle tun.[2] Warum, wo es darin bereits so viel zu erkunden gäbe, sich dann weiter verschiebend das Unbewusste selbst vornehmen, um in der Folge darin zu hämmern und flach zu schlagen?

Der Rüstung des Rüstens selbst und vor ihm selbst oder in Abwehr etwa seiner konnotativen Nachbarschaft zum Flachlegen wegen? Doch aus welchem Antrieb? Schwer zu sagen – nur: Schmieden ist weder Zweck seiner selbst noch eigene Ursache. Oder etwa doch? Ist der Schmied als partieller Akteur, zumal in seiner mythischen Göttergestalt, nur durchgängig fremdbestimmt? Genieße Dein Unbewusstes, Schmied – Schmiede! Schmiede Maschinen-Menschen und Dinge auf ewig, schmiede Lust!

Imperativischer Überich-Appell. Also schmiede Ich, der im Schmieden derart aufgeht, dass das Subjekt nur als Ich – durchgestrichenes – bleibt, denn, wohlan! Wenn ich es nur könnte, so allein. Ich verlier‘ mich ja schon beim Durchdringen der Strata auf der Suche nach dem metallurgischen Substrat…

Mögen meine Zyklopen doch beistehen, diese naturgewaltigen Kraftgestalten. Schmieden wir gemeinsam das Schmieden des Schmiedens, nehmen wir es als unseren ureigensten Auftrag an, schmieden wir uns selbst als wir…Und schmieden und schmieden. Unsere Schmiedewerkzeuge zuerst – doch womit? Sie sind ja noch gar nicht da, die nötigen Werkzeuge, grausam ist die Selbsterschaffung!

Doch in der externalisierten Klage selbst erscheint auch Linderung bereits. Wir schmieden daher a fortiori imaginär, bis ein Zeichen Gestalt annimmt, selbst wenn es über endlose Zeitverläufe hin dauern sollte. Und so schmieden und schmiedeten wir dann, gegenwärtig, wie vergangen: uns – als Zeichen unserer Selbst und unseres Auftrags. Ja, schmieden wir denn auch ein Zeichen des Zeichens unserer selbst, ein beißendes Kratzen, Stampfen, Stempeln, Dröhnen, Schlagen, Ritzen, als Spur der Spur in die Substratvorlage hinein. Und da wir mit massiven Kräften zu Werke gehen, werden Spätere unweigerlich erkennen, dass wir es waren, dass sie es selbst noch sind, die da schmieden die Entzifferung des kaum schon anthropomorphen Sinns, der übermächtigen Gewalt, die in signifikanten Ketten sich auf diejenigen niederwerfen, die sich zu nähern wagen.

Lasst uns ihnen sagen auf immer, dass wir es waren, die das Schaffen gründeten – Wir!

 Nicht ein Ich – ha ha – wie sollte das sein? Wo doch das Unbewusste Vielheit ist – sein soll. Nicht ein Wolf, ein Mann, ein Ein, ein Trait unaire. Wir! Endlich Wir!!! Wir!!! Wirr!!! Waz wirret dir, oheim?[3] Wie wirr, wie (w)irre, irre schön! Last uns schmieden und schmieden…uns singen vor Glück… ein ‚A‘ und ein ‚O‘ ein Ahh-und-Ooh. Und vor die Götter treten und Schmieden…und Brückenpfeiler und Ketten und Maschinen und Schienen und Rüstungen und Schwerter und Kanonen und Kalbskolosse…und selbst den schwer zu fertigenden Ring lasst uns schmieden…Wir schmieden die Welt. Wie uns selbst, mit dem Hammer, mit unserem Hammer, der unsere Sprache ist, damit schmieden wir Wurzeln, Wurzeln die keine Wurzeln sind, die Rhizome vielmehr sind, wilde Wurzeln, die wir mit wildem Feuer, welches Zeichen ist von Feuer, einbrennen in das zu schmiedende Ding.

Und fünfeinhalb bis sechs Regeln wollen wir folgen bei unserem Schmieden, damit man uns ernst nimmt auf alle Zeiten – schließlich gilt: „Le rhizome ne se laisse ramener ni à l’Un ni au multiple.“[4] Regeln geben wir uns und Prinzipien, damit wir nicht vergessen – nicht vergessen unser uns. Denn das Vergessen vergisst…vergisst immer…ist so vergesslich, vergisst…ohne Unterlass. Ist damit das traurige Eine, das wir doch meiden wollen in Einigkeit und es ebenso sehr dadurch schaffen, im Hinwegschaffen des Geschaffenen, ja, lasst uns schmieden und schaffen auf ewig, bis die Zeichen unmissverständlich lauten: connexion, hétérogénéité, multiplicité, rupture asignifiant, cartographie et décalcomanie – und eben immer, ja auf immer: multiplicité(x)multiplicitén-1!

Denn:

Alle Vielheiten sind flach, insofern sie alle ihre Dimensionen ausfüllen und besetzen; wir werden deshalb vom Konsistenzplan der Vielheiten sprechen, obwohl die Dimensionen dieses ‚Plans‘ sich vermehren mit der Zahl der Konnexionen, die sich auf ihm herstellen. (...) Die flachen Vielheiten mit n Dimensionen sind asignifikant und nichtsubjektiv. Sie werden durch unbestimmte oder besser: durch Teilungsartikel bezeichnet (etwas Quecke, etwas Rhizom…).[5]

Soweit mitten im Rhizom, der zunächst noch allein stehenden Einleitung zum späteren Tausend Plateaus. Flach ist’s hier ja schon ein wenig, plat – doch von der dies realisierenden Aktivität keine Spur. Ist das angesichts dieses euphorisierenden Plans vielleicht nicht mehr nötig (gewesen)?

Nun, in der 1977 publizierten Übersetzung der Urfassung ging die Passage etwas weiter:

Man fragt also nicht, was eine Vielheit bedeutet oder wem sie zugerechnet wird. Wenn eine Vielheit gegeben ist, z.B. FASCHISMUS – schreckliche Vielheit –, die durch ihre Linien und Dimensionen definiert und genau auf einem Konsistenzplan ausgebreitet ist –, fragt man sich, entsprechend welcher Dimension sie dieses oder jenes bezeichnet, und nach welcher Linie sie einem Individuum, einer Gruppe oder einer sozialen Formation zugeordnet werden kann. Denn es gibt einen individuellen Faschismus, einen Gruppenfaschismus, einen Faschismus der sozialen Formation. Diese Unterschiede gehören nicht wirklich zur Sache, sondern sind sekundär und abgeleitet im Verhältnis zur direkten Untersuchung der Vielheiten. Wir sind Schmiede des Unbewussten und hämmern und schlagen flach.[6]

Ja, diese sekundären, abgeleiteten Unterschiede wurden dann weder in die Fassung des Rhizome als Einleitung der Mille Plateaux übernommen, noch in die deutsche Übersetzung re-integriert. Man sieht, dass also schon bei rezenten Autoren historisch-kritische Ausgaben sinnvoll wären, aber…der Markt fehlt und das intellektuelle Forum und alles. Wie das Altern der Neuen Musik, als solche in ehrenhaft-unbemerktem Greisentum jedoch weiter unter uns weilend.

Nur die Schmiede des Unbewussten sind mittels Selbst(!)-zensur aus dem skripturalen Universum diffundiert, ähnlich, wie einst die Hippies rätselhaft entschwanden – hätten die Autoren sich kastrativ auch dem Kastrationsphantasma gegenüber verhalten, sie hätten in der Impotenz göttlichen Genießens entdeckt, dass poetisch-grammatische Vielheiten (‚wir‘ – als Zeichen) eben an den Schub- und Reibflächen unaufhaltsam in sich selbst hinein sich schmieden, sich Ding-metaphorisieren, sich die eigenen Spuren ein- und sich da hinein-verleiben, indem sie in diesen Spuren voran und zugleich sich davon weg bewegen, sich von sich selbst sowohl abziehen wie sich abziehen lassen – wie ich den nur leicht verschüchterten Dr. Lacan imaginär sinnierend vernehme, wie er im Prado mit freischwebender Aufmerksamkeit auf Velázquez‘ La fragua de Vulcano wohl einst schaute.[7]

Übrigens wird ja so ähnlich – natürlich ohne den personifizierten Akzent – das Geschehen in den Strata beschrieben. Strategie des Denkens der Erde als heteronom-induziertes Selbst­denken.

Die Antwort also auf die passagere Frage lautet: der schöne Slogan findet sich in Deutsch nur in einer alten Ausgabe des Rhizom aus dem Merve-Verlag. In die Textfassung als offizielle Einleitung: Rhizom des Teils 2 von Kapitalismus und Schizophrenie ging sie nicht ein – auch aus dem Grunde, hic et nunc als funktionales Phänomen figurieren zu sollen.

Da hat also jemand massiv mit dem Hammer[8] philosophiert, wie Deleuze es ja bereits zuvor in Anlehnung an Nietzsches Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophiert umfänglich ausführte. 

II. Appell: Martelons, aplatissons

Der Wunsch nach besseren Kenntnissen in einführender Rhizome-Kunde hat mich derweil zum Originaltext des so griffigen Mottos geführt und wiederum einiges erkennen lassen.

Was sich im Deutschen wie die selbstverständliche Kundgabe eines Status liest – „Wir sind…“ –, tut sich in der Konturierung dessen im Französischen deutlich schwerer. „Martelons, aplatissons pour être des forgerons de l’inconscient.“[9]

… pour être, um zu sein – schwingt da nicht vorangehend und unverkennbar ein nur sanft verstellter Imperativ mit, dessen drückender Appell dennoch die schließlich spezifizierten Aktivitäten antreibt? Ein Imperativ, der sie super-egoistisch motiviert, bevor der dadurch zu gewinnende Identitätsstatus als Möglichkeit ausgeworfen wird? …pour être, pour être des forgerons de l’inconscient.

Philosophen machen es sich eben doch nicht ganz so einfach, wie es die an der Grenze zur Werbebotschaft operierende Passage in der deutschen Übersetzung unberufen-berufen und Publikums-wirksam tut – oder eben: tat.

Und was die jede Erklärung schuldig bleibende Übersetzung in der Formulierung „Wir sind vorwegnimmt, ist dasjenige, das im Original erst das Resultat bildet: Schmiede zu sein.

Wir haben also im Original den Überich-Appell, nämlich Hämmern und Flachschlagen zu sollen, mittels welchen Handelns die Instanz – vielleicht auch die Substanz – zu generieren wäre, welche eine ihrer entscheidenden Qualitäten, nämlich die Appellfunktion, nutzt, um den schmiede-spezifischen Seins-Infinitiv des Unbewussten erst generieren zu können. Darin ist unverkennbar ein durchgängig zirkuläres Selbstbegründungsansinnen ausgedrückt, dessen Realisierbarkeit sich initialer Verschiebung verdankt.

Die bildhafte Vorstellung des Schmiedeuniversums wiederum stützt diesen Anspruch: Die Nutzung des flachschlagenden Hammers setzt diesen, sofern Schmiedeprodukt und nicht etwa organisch abgeleitete Hilfskomponente, ja bereits voraus. Womit eine mehrfach verschobene Zirkularität in der Vorstellungswelt belegt erscheint: die von attributiven Bestimmungen des Unbewussten (Antrieb, Appell), von Dingproduktion (das Produkt hier ist wohl ‚nur‘ der zu Papier gebrachte Satz gewesen) und von Identität (das in den Schmied verwandelte, nicht-singuläre Autor-Subjekt). Dies noch einmal konträr zu dem, was vermeintlich als die Erfüllung der implizit angekündigten Arbeit daraus folgte.

Es sind also sowohl das theoretische Modell, wie auch die Äußerung und die bildhafte Vorstellung in spezifischer Weise zusammengebracht – „(...) le signifiant c’est comme le style.“[10] Wenn man so will: statt Eingedenken vielmehr Einschmieden. Wobei das auch an den ur-skripturalen Vorgang des Einmeißelns erinnert: die metallurgisch fundierte Einheit Hammer-Meißel bemächtigt sich unter manueller Führung des Mineralischen, um von ihrem Phantasma, dem Selbstbegründungsanspruch des philosophierenden Seins, zu künden. Sobald denn Schrift dekodierbar geworden ist.

Wenn das zu abstrakt ist, gibt es im mythisch repräsentierten Kulturschaffen auch die manifest anthropomorphe Fassung: die Anwendung des Schmiedewerkzeugs durch seinen Schöpfer, nämlich in der maieutischen Assistenz des Hephaistos bei der väterlichen Kopfgeburt seiner Schwester. Doch auch hier kündet das trotz szenisch-poetischer Entfaltung doch nur von letztlich unentrinnbarer, verschobener Selbstbezüglichkeit: der in hysterischer Aggression vom Olymp ungnädig hinweggeschleuderte arme Kerl lernt sein Handwerk in der Höhle jungfräulicher Nymphen. Und es ist nicht etwa deren Höhle, die brodelt, dann wäre ja kein Aufenthalt darin möglich, vielmehr ist es der ganze sie beherbergende Berg, dessen abgeschattetes Urfeuer beherrscht wird, um sodann von eben dieser Beherrschung künden zu lassen. Ding-ästhetisch symbolisiert durch mittels metallurgischer Künste generierte Schmuckstücke für die jungfräulichen Hostessen, so das Spiel von Maskerade und Begehren erektiv-geschmeidiger Objekt-Symbolik unterstellend.

Ich denke, dass der internalisierte Gebrauch psychoanalytischer Fundamentalien – hier in der verschoben-verschieben­den Schmiedeszene: Über-Ich, Identität, Dingproduktion – die eigentliche Spezialität von Deleuze und Guattari ist. Wenn es sich aber darum geht, das zu bestimmen, was jenseits des durch sie so oft gescholtenen monistischen Verständnisses von Wunsch und Signifikant liegen mag, läuft man in die Falle genau dieses Begriffsapparats: Konnexion, Heterogenität und Vielheiten sind weder das ‚Andere‘ noch der Zugang zu ihm, sondern elaborierte Versuche erst der Selbstbegründung des alternativen Modells. Die Arbeit, die Ökonomie des Anderen zugänglich zu machen, bleibt symbolisch. Was anders sollte sie auch sein?

Was zu sagen wäre, ist allerdings: Die das Unbewusste ihres Schmiededaseins selbst schmiedenden Schmiede laborieren an einer vormals einschneidenden Bruchstelle zwischen Ich und Anderem – der Unfassbarkeit des Geburtstraumas[11], umso mehr des kollektiven von Hephaistos und Zyklopen. Das erklärt den selbstreferentiellen Charakter sowohl der Aussagestruktur als auch der szenischen Darstellung. Und vielleicht auch die Faszination und Erinnerbarkeit des Bildes sowie den Übermut verstellender Übersetzungsarbeit.

Konkretisierungen, die die schmiede-impliziten Geburtshilfequalitäten ausführten, sind aber in der Begriffs- und Vorstellungswelt von Anti-Œdipe, Rhizome und Mille Plateaux nicht passend, gesagt zu werden.

Und demnach ist es auch nicht verwunderlich, dass die kurze Passage so plötzlich publikatorisch verschwand. 

III. Praktische Relevanz: Konjunktive, antizipierte Finalität

Dem Unbewussten so geflissentlich wie vergeblich zu Dienste sein zu wollen, wie es Deleuze und Guattari beabsichtigten, ist vielfach auf Unverständnis gestoßen. Insbesondere auch der leicht zu verstehende Mangel klinischer Relevanz.[12] In Ermangelung diesbezüglicher Erfahrung sind mir allerdings alternativ ergänzend einige Erfahrungsfelder präsent, in denen die Konjunktion finaler Infinitive mit den Funktionen von Appell, Verschiebung und Vielheit praktische Bezüge aufweist.

Der gesamte Bereich der Ausbildung etwa ist von der unmittelbaren Anbindung an konjunktive Finalitäten gekennzeichnet: etwas zu tun, das in einem eher entfernten Anderen erst zum vermeintlichen Ziel kommen mag. Die dieses Widerspruchsverhältnis aufrecht erhaltende Aktivität ist eine ähnliche Art von Arbeit wie es die Traumarbeit bezüglich des Symbolischen und die Genussarbeit bezüglich des Imaginären sind. Sie ist daher an vielen Stellen in ihrer funktionalen Durchgängigkeit gefährdet. Das Aufreißen des Phantasmas zu verhindern, verlangt vom Ich bereits antizipatorisch genau die Realitätsorientierung, welche traditionell erst nach dem Erreichen des Ziels von Ausbildung in Form gesellschaftlicher Anerkennung geleistet wird.[13]

Bezogen auf die Weltbevölkerung[14] ist es allerdings die Ausnahme, dass diesem realen Widerspruch durch ein Vorziehen der Prämie begegnet wird, beispielsweise mittels angemessener Ausbildungsvergütungen. In den meisten Ländern ist Ausbildung stattdessen ein individuell zu erwerbendes Gut, das zumindest für das, was über rudimentäre Basiskenntnisse hinausgeht, Bezahlung erfordert – und damit massenhafte Exklusion betreibt. Versuche, dem zu entgehen, führen bei den betroffenen Jugendlichen dann ausschließlich zur Abhängigkeit von subkulturellen Institutionen.

Der Eintritt in die Sphäre eigener ökonomischer Reproduktion mittels Berufsarbeit befreit seinerseits jedoch keineswegs von der Last des Phantasmas konjunktiver Finalität, er perenniert sie vielmehr als Lebensaufgabe. Sich dem kollektiven Schmieden identifikatorisch in hoher Intensität anzuschlie­ßen, bedeutet notwendigerweise, über den Zusammenhang auf der Ebene von globaler Ökonomie nichts weiter wissen zu wollen, insbesondere was die objektive Verschiebung von Destruk­tionsdingen und -­­verhältnissen in die gesellschaftlichen Körper von Entwicklungsländern hinein betrifft.

Die Verlagerung von Mittel-Zweck-Relationen im individuellen wie kollektiven Handeln auf die technische Maschine hat sich zur weitgehend selbstverständlichen Dominanz der causa efficiens entwickelt. Es sind allerdings primär die kurzschlüssig funktionellen Zusammenhänge, welche im Dauerbeweis ihrer Wirksamkeit die umfassenden Verknüpfungen des kollektiven Unbewussten ausblenden. Wo letzeres dennoch spürbar bleibt, sind es vorwiegend forcierte Erscheinungen, wie die kaum mehr angemessene Übertreibung und der suchthafte Sog, welche die Schmiedeschar – sie löst sich ja im kollektiven Procedere beständig auf – zum fortwährend verhinderten Sieg über sich selbst treibt.

Diese Zusammenhänge vermeintlich nicht zu verstehen, sie proto-psychotisch zu leugnen oder sich ihrer verweigern zu wollen, sind Störungen der selbstverstellenden Dominanz kollektiv-rhizomorpher Verschiebung im engeren Sinn. Die Möglichkeit, das dem Erwerb des Meisterbriefs im Handwerk des Unbewussten vorangehende Meisterstück fertigen zu können, bleibt den davon Betroffenen Gewalt-fortschreibenderweise verwehrt. Ihre Mahnung betrifft das, was es stattdessen gedächtnislos hinweg zu schmieden gilt, würde man dem verführerischen Motto folgen – produire de l’inconscient, énoncer d’autre désirs.

Alors, nouveaux Hephaistoi! Wenn es Euch denn noch möglich wäre. 

 
(2011), Veröffentlicht in einer Antologie 2014.

[1]   Die Frage und die erinnerte Formulierung stammen von Rudolf Heinz.

[2]   Gilles Deleuze, Félix Guattari, Tausend Plateaus, Berlin: Merve 1992, 59ff.

[3]   Die erlösende Frage des Parzival an den Gralshüter Anfortas, seinen Onkel mütterlicherseits, den avunkularischen Psycho­pompos, in Wolfram von Eschenbachs Versroman.

Erst die ihm selbst rätselhafte, eine Melancholie auslösende Symbolik von Blutstropfen  im Schnee bricht den manischen Bann, unter dem der  gerüstete Ritter steht und lässt ihn vage das verlorene Objekt seiner Begierde konturieren, seine erste Gattin, Condwiramurs. Die mütterlicherseits Parzival vorenthaltene Kenntnis des ritterlichen Codes verhinderte zuvor, die Frage stellen zu können und damit die kollektive Depression am Hof zu tilgen. Der höfische Roman als Gattung ist ein beispielhafter Ort durchgängiger, konjunktiver, antizipierter Finalität (s.u., III).

[4]   Gilles Deleuze, Félix Guattari, Rhizome. Introduction, Paris: Éditions de Minuit 1976, 61.

[5]   Gilles Deleuze, Félix Guattari, Rhizom, Berlin : Merve 1977, 15.

[6]   Deleuze, Guattari, Rhizom, 15.

[7]   Wo Apoll dem Hephaistos/ Vulkan die Liaison seiner Gattin Venus mit Mars wohl verkündet – was zwischen zwangsneurotischem Arbeitseifer und paranoidem Wegschaffen des Proto-Verdrängten ins Kriegs-assistente Ding doch so alles unbemerkt bleiben kann …

[8]   Was urszenisch nicht zuletzt auf ein Staunen vor dem Erwachen erektiver Sinnlichkeit zurückgehen mag, wie die Erinnerung kindlicher Werkzeugträume mir nahelegt.

[9]   Deleuze, Guattari, Rhizome, 26.

[10] Jacques Lacan, Du discours psychanalytique. Discours de Jacques Lacan à l’Université de Milan le 12 mai 1972, in: Lacan in Italia 1953 – 1978, Milan: La Salamandra 1978, 37.

[11] Die in ein Traumbild verschobene Erinnerung des eigenen Geburtstraumas wurde bei mir übrigens ehedem durch einen am Vortag wahrgenommenen, höchst intensiven Blitz ausgelöst. Die Blitze des Zeus sind Werke des Hephaistos, ebenso wie die verfänglichen Pfeile des Amor – Gipfel der Zirkularität: Es kann der Hephaistos ja auch nur selbst die Wunschmaschine geschmiedet haben … unter seinem nun wohl bekannten Pseudonym, warum? … pour être … les forgerons … de l’inconscient.

[12] Rudolf Heinz, Was ich am Anti-Ödipus immer schon nicht verstand und immer noch nicht verstehe, in: Anti-Ödipus (Gastherausgeber: R. Heinz), in: texte. Psychoanalyse. Ästhetik. Kulturkritik, 20. Jg., Heft 2, Wien: Passagen 2000, 75 – 92.

[13] Details hierzu führt aus: Herman Stölb, Einschulung, Vortragsmanuskript vom Oktober 2011.

[14] Dies verstanden als Verallgemeinerung einer privaten Erfahrung, nicht als Versuch, (Da-)Seinsbezüge als todestriebliche Gegenführungen auszuweisen. 

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