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The Cologne Experiment
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Traumproduktion – Zur Logik des Imaginären
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Another Difficulty in the Path of Psychoanalysis?
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18.04.2020 Vortrag
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Eine weitere, große narzisstische Kränkung?
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Überschäumendes Begehren und die Grenzen der Sprache
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Begehren, die Verschwiegenheit der Wünsche
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Spürbarkeit – Leiden und Ausdruck in der Sprache der Weltbezüge
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Unheimliche Begleiter – Virtualität und Administration
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Berners / Hermanns
Erdrotation – Dialog
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Always Crashing in the Same Plane – ein Wunschmaschinenmodus

Ulrich Hermanns

Wie oft sind wir in unseren vorbewussten Erlebnissen bereits aus Flugzeugen auf die Erde abgestürzt, nicht nur beim Starten und dem begleitenden Herabschauen und dem Berechnen, ab welchem Punkt es wohl kein Überleben gäbe, wenn die Maschine zu Boden stürzte? Wie oft haben wir unseren eigenen Tod so als Katastrophenfolge vorweggenommen?

Ist die weltweite Präsenz von Desastern in den Köpfen der Menschen nicht ein Beleg für das, was sich als die Umkehrung des Verhältnisses von Kultur und Schuld erschließen lässt? Der offenbarende Blick in die ontogenetische Vorzeit, als wir zwischen allfüllender Lust und frustrierendem Grauen via Nicht-Ich noch nicht zu differenzieren wussten? Herrschaft darüber aber ist eben dialektisch auch als das Aufheben im Sinn des Ungültigwerdens zu verstehen, ein Akt, der vor der Rache der Unterwelt nicht per se geschützt ist. Ein Akt, der im Hyperstriptease des Borderline Syndroms beispielsweise zwischen Haut und Knochen bei geschlossenen Lidern zum Vorschein kommt.

Eigenartigerweise berühren mich Flugunglücke im Osten kaum, vielleicht, weil sie immer schon eine Zeit-Raum-Achse als auch imaginär Trennendes aktualisieren. Im Westen dagegen rühren sie beträchtlich auf, so der Absturz der Air-France-Maschine über dem Atlantik, die in einen gewittrigen Eisregen geriet und so unsteuerbar wurde. Ich hatte das Gefühl, dass die gesamte Menschheit gemeinsam mit den Passagieren mehrmals mit abgestürzt sei. Das Vernehmen der Nachricht brachte die Absturzphantasie gleich mit hervor. Gespeichert ist es bis heute. Und dann Barcelona – Düsseldorf.

Bezeichnend hier ist das kollektive Phantasma, sowohl, dass das grauenhafte Schicksal die Menschen in Gruppen ereilt (eigentliche Katastrophe), als auch die weltweite Aufmerksamkeit, der globale Schock, der in die Glieder – oder in die Köpfe vielmehr – fährt (Phantsama).

Titanic – das ist ein heute noch präsentes Urbild der Überstellung des kollektiven Machtanspruchs über Natur als Genießen an den konkret die Herrschaft an sich reißenden Tod. Das Gruseln beim Abheben im Flugzeug gemahnt uns an diese implizite Hybris technisch inszenierter Lust. Anders als beim Anschauen von Trapezakten oder gefährlicher Akrobatik Einzelner ist das selbst im widerständig-provozierenden Maschinenkörper Eingeschlossensein ein Moment vollständiger Auslieferung, vorweggezogene Überstellung, an das Gelingen des Beherrschungsakts. Dispensieren der Zeit.

Flugangst ist dabei eine immer noch gemäßigte Affektentfaltung, insofern sie eine Ausdrucksform hat, symbolisierbar ist. Von anderen an die Hand genommen zu werden, kann bereits helfen.

Wo aber ist das kollektive Mit-Abstürzen in der Vorstellung beheimatet? Man kann vorab fragen, woher es seine Dynamik bezieht, dann zeigt sich, dass Dingphantasma und Selbstautonomie so eng korrelieren, dass allein ein gezeigter, repräsentierter Unfall den Ruf nach dem dorthinein versetzten Ich laut werden lässt, ihn evoziert. Woher ergeht dieser? Auf der Ebene von Kompassion mag es als moralischer Anstand gelten, ‚mitzufühlen‘, Befolgen einer, so gelernten, Regel. Doch dies erstreckt sich auf die im weitesten Sinne Angehörigen der Opfer, Überlebende. Andere Ich, die gegen was herbeizitiert werden?

Im imaginären Dabeisein ist eine mimetische Kraft am Werk, die sich im Besetzen von angemaßten Plätzen ausdrückt – in der Phantasie bis zum konkreten Platznehmen an Bord –, wie es die Opfermenschen in Wirklichkeit getan hatten, Platznahme der Leiblichkeitsbeweise von Todeswiderständigkeit, die schließlich misslingt.

Und die Nachrichtenmedien, ohne die von all dem Katastrophischen nicht als Außenweltphänomene etwas gewusst würde? Sie sind einerseits in ewiger Fürsorge für das Auffinden und Bekanntmachen des je desaströsen Rückschlags tätig (die gesamte Binnenökonomie des Nachrichtenagenturwesens, einschließlich der Bildagenturen), andererseits sorgen sie für die unmittelbar fühlbare Distanz der Grauensorte und -begebenheiten aufseiten der mit solchen Botschaften sich ins Benehmen setzenden, informationsgeilen Geschöpfe (globale Ergriffenheit).

Unsere gefiederten Mitwesen, die Zugvögel, machen da weniger Aufhebens. Sie überqueren Alpen, Mittelmeer und Sahara weil sie es individuell können. Ebenso kriechen mannstief unter der Erde Insekten umher, welche die dort ruhenden Leichen verwesen lassen, unser finales Unvermögen in fruchtbare Böden verwandeln.

Die Lebens-Todesdifferenz mutig auf die Seite des Lebens zu buchen, zu wissen, dass dies anders nicht realisier- und erfassbar ist, fordert vom Ich die Prämie, sich zum Anderen, zum mit dem Tod umgehenden, im abstürzenden Flugzeug selbst situierten Schicksalsherausforderer zu machen. Primärprozessuale Vorstellungseinheit, Tagtraum, Wunscherfüllung. Zugleich alltägliches Geschehen, auch ohne manifeste Repräsentation.

Dies dispensiert nicht die konkrete ökonomische Durchquerung all dessen, was zum Desaster und zum glücklicherweise höchstwahrscheinlichen Ausbleiben dessen führt. Es ist die Währung im Imaginären, ein Äquivalent, das schuldlogisch unausweichlich zu entrichten ist, sowohl im Imaginären selbst, als auch im Tausch von Innen- und Außenweltgeschehen.
Diese Leistung in Form vielfältigster symbolischer Übungen nicht zu erbringen, hieße Psychose, Zusammenbruch der Lebens-Todesdifferenz.

Damit das im Wirklichen nicht geschieht, vielmehr so gut es geht aufgehalten wird, gibt es die rationale Zweckgebundenheit der Mensch-Maschinen-Liaison. Man hat seine Gründe, zu fliegen, und deshalb haben Airlines entsprechende Geschäftsmodelle, es zu ermöglichen.

Dass solche Praxis nur Verdrängung wäre, hieße, die libidinöse Besetzung des gesellschaftlichen Feldes zu banalisieren. Ich denke vielmehr, dass die begehrensökonomische Nötigung der Subjekte zu entsprechendem Agieren jeweils die Erfüllung sie kollektiv oder über das eigene Begehren erreichender Ansprüche darstellt. Sie in Lustmehrwerte – so gelingend – überführt, das sind vom Ich konsumierbare Prämien der Erfahrbarkeit des Anderen, millionenfachen Nicht-Ich. So etwas lässt sich in Begehrensbilanzen codieren.

Genau diese tragen wir mit uns herum, ob an Bord oder als andernorts weilende Nachrichtenempfänger. Bezüglich der für solches Prozedieren benötigten Bordkarten ist auch klar, dass sie die imaginär jederzeitige Teilnahme am Absturz nur im Kleingedruckten auf der Rückseite aufführen. Und unsere eigenbewirtschaftete Zensurinstanz (Leib-Seele-Polizei) sorgt dafür, dass uns das nicht beständig bewusst ist. Wofür bezahlen wir sie denn schließlich?

Und womit?

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