Ulrich Hermanns
Antwort auf einen Aufruf von Rudolf Heinz
Im Herbst 2008 verfasste Rudolf Heinz den "Aufruf aus Anlaß der weltweiten Finanzkrise." Später publiziert in: Psychoanalyse und Philosophie. Pathognostica: Jahrbuch 2008. Hg. R. Heinz, Ch. Weismüller. Düsseldorf. Peras. 2008. 9-12.
Eine Antwort von Ulrich Hermanns erfolgte unmittelbar als Text. Die ökonomische Terminologie von Jacques Lacan kennt den Begriff Discours capitaliste seit 1969 – allerdings nur für eine kurze Periode. Aus der Sichtung dieses und weiterer einschlägiger Terme wurde eine Kritik entwickelt, die zentrale Aspekte der Verknüpfung der symbolischen Arbeit des analytischen Subjekts (Analysant) mit dem kapitalistischen (Makro-)Prozess aufzeigt. Eine erste Formulierung begehrensökonomischer Positionen.
Sie können den initialen Essay von 2008 herunterladen. Er ist am Bildschirm aufrufbar.
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Der Aufsatz wurde sodann weiterentwickelt und publiziert:
Discours capitaliste und Plus-de-jouir. Zur ökonomischen Terminologie von Jacques Lacan 1969-1972
Ulrich Hermanns, Düsseldorf: Peras. 2011. 103 S. Eur. 10,50 ISBN 978-3-935193-25-2
Eine zweisprachige Einleitung umreißt knapp den Zusammenhang von Ökonomie, Begehren und Unbewusstem. Sie ist als PDF downloadbar: Discours capitaliste und Plus-de-jouir ... Intro Download PDF
Intro: Discours capitaliste und Plus-de-jouir
Das Buch handelt vom Unbewussten, insofern es nicht nur das individuelle eines jeden Menschen ist, sondern sich darüber hinaus in die Dinge und den Umgang mit ihnen fortsetzt – und zugleich darin erst sich zur Erscheinung bringt.
Um Aspekte dessen zu verdeutlichen, wird die ökonomische Terminologie Jacques Lacans in doppeltem Sinn genutzt. Erstens, um konkret zu zeigen, wie sie in sich funktioniert. Zweitens, um an geeigneten Stellen sichtbar zu machen, wo die Anschlüsse für die weitere Erkundung dessen liegen, was den Zusammenhang des vermeintlich individuellen Begehrens mit der unausweichlichen Schaffung und Fortschreibung der Zustände um uns herum, ebenso wie in uns, angemessen verstehbar macht.
Unsere Vernunft allein lässt uns bekanntlich kaum sogleich erkennen, wie wir im Begehren nach den Dingen gleichsam verschiebend an der Schaffung einer Welt teilhaben, deren Regeln weder wir selbst kontrollieren können, noch die Institutionen, die unsere Vorfahren, Mitmenschen und auch wir zur Aufrechterhaltung und Koordination des Zusammenlebens schaffend geschaffen haben.
Selbst diejenigen, die durch das Walten und oft auch Wüten der bestehenden ökonomischen Ordnungen ungefragt und ohne Gnade in die Position der Armen versetzt werden, begehren beständig dasjenige, was in der Realisierung des Begehrens die eigene Unterdrückung fortschreibt – Konsumdinge. Sie fortschreibt, weil sie an diejenigen, welche die physisch präsenten Warendinge liefern, ebenso wie vorgestellte, nämlich das gesamte Medienwesen, etwas abliefern, das niemals bezahlt wird – ihr Begehren nach Genießen.
Und was anderes können wir, die unvermeidlichen Doppelagenten, produzieren als infizierte Objekte der Begierde? Ohne zu wissen, welche Nebenwirkungen das andernorts, welcher seinerseits wieder das Unbewusste ist, erzeugt?
Das, was zwischen den Individuen und den Ordnungen zur selbstredend immer auch vergeblichen, dinglichen Erfüllung des Begehrens zirkuliert, ist der Plus-de-jouir – die Mehr-Lust, das Mehr-Genießen.
Mehr-Lust ist die mit höchst notwendiger Indifferenz ausgestattete Währung im Transfer zwischen den libidinösen Besetzungen des gesellschaftlichen Feldes und dem psychischen Apparat unser aller je leiblicher Existenz. Wobei das Verständnis des letzteren erst durch den Gebrauch des Äquivalents konkretisiert wird.
Hoffnung wäre, zur humanen Beeinflussbarkeit der Zustände in den Umgebungen und Seelen nicht nur all derer, die vom Discours capitaliste, dem marktwirtschaftlichen Diskurs, hin und her geschleudert werden, irgend beizutragen – sowohl, wenn es um das Verständnis dessen geht, was früher Krankheit hieß, als auch um ein angemessenes Verständnis der Réalité humaine.
Discours capitaliste and Plus-de-jouir
The book deals with the unconscious insofar as the latter is not restricted to each human being but continues beyond that, into objects, ideas and interaction with them – where it duly comes to manifestation.
To illustrate aspects of this, the economic terminology of Jacques Lacan is used in double context. Firstly to show in detail how it works in its own sense. Secondly to identify suitable links for further exploration of all that which may help to adequately understand the connections between supposed individual desire and the inevitable creation and perpetuation of the conditions around us and also within us.
As is generally known, reason alone does not instantly let us recognize how we, while we are desiring objects, simultaneously participate in a constantly displacing way in the creation of a world, whose rules neither we ourselves can control nor the institutions which our ancestors, fellow men or even we have established in order to coordinate and maintain the condition of living together.
Even the wretched, who have unwittingly and mercilessly been driven into a state of poverty by the order and frenzy of existing economic forces, constantly desire that which in its realization continues their own repression – consumer goods. Continually, as they render to those who deliver physically real ware and even just imaginary, namely the whole realm of media and mass media activities, that which is never reimbursed – their desire for enjoyment (jouissance).
And what can we, who are unavoidably double agents, produce other than infected objects of desire? Without knowing which side effects may be generated in other places, which again are the unconscious.
That which circulates between individuals and the order to constantly, even as a matter of course, and always in vain fulfill reified desire is plus-de-jouir –surplus jouissance, Mehr-Lust.
Equipped with essential indifference, surplus jouissance is the currency in the transfer process between libidinous occupation of the social field and the human psyche of each and everybody’s corporal existence. Whereby, understanding of the latter is only attained through the use of that currency equivalent.
Hope would be, to influence in some small way the condition of the environment and the souls not only of those who are flung to and fro by the discours capitaliste – which simply is the contemporary economic discourse – as well as the understanding of that which was formerly called illness and also an adequate understanding of the réalité humaine.